Regionale Arten sterben vor unserer Haustür
Neue Lebensräume schaffen
Felix Schulze-Varnholt/Lara Boye
Die Artenvielfalt schwindet – doch nicht nur im Regenwald, sondern auch direkt bei uns vor der Haustür! Immer mehr heimische Tier- und Pflanzenarten sind vom Aussterben bedroht, doch jede*r kann schon mit kleinen Maßnahmen einen großen Beitrag zum Artenschutz leisten.
Artensterben und die Zerstörung von Lebensräumen für Insekten und Co. nehmen weltweit stetig zu. Dabei haben Krefelder Insektenforscher herausgefunden, dass die Anzahl an Insekten seit 1989 um 76 Prozent zurückgegangen ist. Viele essenzielle Tier- und Pflanzenarten sind mittlerweile auf der Roten Liste der gefährdeten Arten. Dies beeinflusst unser Ökosystem nachhaltig. Nicht nur das Klima wird beeinflusst, sondern auch die Qualität und Anzahl unserer Lebensmittel.
Genau hiergegen setzt sich die Initiative Artenglück ein. Mit Hilfe von regionalen Blühwiesen, Feldvogelfenstern sowie Waldaufforstung werden wieder Lebensräume für unterschiedliche Tier- und Pflanzenarten geschaffen. Dabei bedarf es vor allem der Mithilfe von Bürgerinnen, Unternehmen, Vereinen und der Politik – denn nur gemeinsam kann nachhaltiger Artenschutz umgesetzt werden. Die Artenglück-Patenschaften ermöglichen dabei, dass jeder leicht neue Lebensräume für Insekten und Co. schaffen kann – selbst ohne eigenen Garten.
Es sind vor allem die kleinen, scheinbar unsichtbaren Insekten, deren Lebensräume durch Bebauung und intensive Flächennutzung verschwinden. Artenvielfalt wird aufgrund starker Eingriffe in die natürlichen Lebensräume kaum noch zugelassen. So sind es meist einzelne dominante Pflanzenund Tierarten, die übrig bleiben und die anderen langsam aber sicher dezimieren. Dieses Phänomen zeigt sich besonders im Unterschied zwischen extensiv und intensiv genutzten Wiesen. Während auf extensiv genutzten Wiesen ca. 30 Prozent des Bestandes aus unterschiedlichen Wildkräutern bestehen, sind es auf intensiv genutzten Wiesen insgesamt oft nur zwei bis drei verschiedene Gräserarten. Der Artenschwund der Wildkräuter überträgt sich im Naturkreislauf auch auf die Tierwelt. Denn besonders die vielfältig blühenden Wiesenkräuter bieten Lebensräume und Nahrungsquellen für heimische Insekten, die sich mit der Evolution an ihre Lebensräume angepasst haben.
Schon jetzt passen sich Pflanzen- und Tierarten weltweit an den fortschreitenden Klimawandel an. Allerdings passiert dieser durch den Menschen verursachte Wandel deutlich schneller als eine natürliche Evolution, sodass viele Tier- und Pflanzenarten auf der Strecke bleiben werden. Die abnehmende, biologische Vielfalt wird für ein instabiles Ökosystem sorgen, welche auch erheblich Auswirkungen auf die Menschheit und ihre Ernährung haben wird. Schon jetzt müssen auf großen Obstplantagen Hummeln und andere Bestäuber gezüchtet oder nachgeahmt werden, um eine ausreichende Bestäubung sicherzustellen.
Um auf natürliche Weise die Artenvielfalt zu erhalten, hat sich Initiative Artenglück die Mission gesetzt, langfristige Lebensräume zu schaffen, in denen sich heimische Arten wohlfühlen und ungestört leben können. Aktuell konzentrieren sich die drei Gründer*innen auf drei verschiedene Ökosysteme, die besonders bedrohten Arten einen Lebensraum bieten. Angefangen sind sie im September 2020 mit insektenfreundlichen Blühfeldern, für die Privatpersonen und Unternehmen Patenschaften übernehmen können und dafür als Dankeschön Paten-Pakete erhalten. Dabei wird sehr viel Wert auf eine professionelle Umsetzung der Blühwiesen gelegt, sodass eine spezielle Blühmischung verwendet wird, die ausschließlich regional erzeugte Blühkomponenten enthält, an die die heimischen Arten angepasst sind. Insgesamt haben sie innerhalb eines Jahres so bereits 75.000 m² Blühwiese aussäen können.
Das Team Artenglück besteht aus den Junglandwirten Christoph und Felix aus Rodewald, sowie der Marketingberaterin Lara. Ihre Initiative haben die drei Freunde während der Corona Pandemie gegründet, weil das Thema Artenschutz ihrer Meinung nach in den Hintergrund gerückt sei. Die erfolgreiche Umsetzung ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, so Felix Schulze-Varnholt. Über ihre Website und ihre Social Media Kanäle Instagram und Facebook klären sie ihre Follower über das Thema Artensterben und Naturschutz auf und geben wertvolle Tipps für den Alltag.
Neben den Blühwiesen setzten sich die Drei auch in den Ökosystemen Wald und Feld ein. In Getreidefeldern legen sie, in Kooperation mit Landwirt*innen in ganz Deutschland, 20 m² große Feldvogelfenster an. Diese dienen den vom Aussterben bedrohten Feldvögeln, wie der Feldlerche oder dem Kiebitz, als Start- und Landebahn. In den zig Hektar großen Feldern können die Feldvögel oft nur schwer landen, um zu ihren Nestern zu gelangen und ihre Jungen füttern zu können. Mit den Kosten für eine Patenschaft werden die Landwirte entschädigt, die anstatt der Schutzfenster auch Getreide oder Mais anpflanzen könnten.
In Kooperation mit dem Lippischen Landesverband hat die Initiative nun ein ergänzendes Projekt begonnen. Der Lippische Wald in NRW, der Teil des Teutoburger Waldes ist und eines der in Deutschland vom Waldsterben am schlimmsten betroffenen Gebieten, soll wieder aufgeforstet werden. Dafür werden über ihre Website Spenden gesammelt. Ihr Ziel ist es dabei aus der ehemaligen Fichten-Monokultur einen nachhaltigen und standortangepassten Mischwald entstehen zu lassen, der nicht nur einen wertvollen CO2-Speicher darstellt, sondern auch wieder einen hochwertigen Lebensraum für verschiedenste Arten bietet. Bis zum Frühjahr 2022 wollen sie ihr ambitioniertes Ziel von 10.000 m² Wiederaufforstung erreichen. Dafür benötigen sie 10.000 Euro Spenden, um das Forst-Team des Lippischen Landesverbandes bei der Finanzierung von Baumsetzlingen und Anpflanzkosten unterstützen zu können.
Wer Artenglück bei ihrer Mission als Pate*in unterstützt, erhält neben einem nachhaltigen Zertifikat aus Graspapier und eigenem Saatgut für den Garten oder Balkon, weitere kleine Geschenke als Dankeschön für den Einsatz. Dies wird in einem Paten-Paket verpackt, welches sich als besonders Geschenk eignet. Sehr beliebt ist zudem der Artenglück Bio-Honig, der von dem Imker Mark aus der Region Hannover produziert wird. Von ihren eigenen Blühflächen wollen sie den Honig allerdings nicht beziehen. Auf diese Weise würde Konkurrenz um den Nektar für die vom Aussterben bedrohten Wildbienenarten entstehen.